Orgelgeschichten aus dem Oldenburger Münsterland

in den »Heimatblättern«, Beilage zur Oldenburgischen Volkszeitung

(6)

„Impulse und Anregungen“ – ein zentrales Instrument für die Orgelausbildung im Oldenburger Münsterland

Geschichte und Geschichten zur Orgel in St. Josef Cloppenburg

von Dr. Gabriel Isenberg

 

Da die „Heimatblätter“ seit dieser Ausgabe nun auch den Kreis Cloppenburg mit in den Blick nehmen, richtet das sechste Orgelportrait in der Reihe der „Orgelgeschichten aus dem Oldenburger Münsterland“ den Fokus auf ein Instrument im Kreis Cloppenburg – und zwar ein besonders herausragendes, das eine wichtige Rolle in der jüngeren Orgelgeschichte des Oldenburger Münsterlands spielt.

 

Die Alfred-Führer-Orgel (1970) in St. Josef Cloppenburg | Foto: Gabriel Isenberg, 2021
Die Alfred-Führer-Orgel (1970) in St. Josef Cloppenburg | Foto: Gabriel Isenberg, 2021

Moderne Kirche im Zentrum von Cloppenburg
Mitten in Cloppenburg, in unmittelbarer Nähe zum St.-Josefs-Hospital steht die moderne St.-Josefs-Kirche, zu der es bereits zwei Vorgängerbauten gab. Die alte, von Hilger Hertel d. J. entworfene neugotische St.-Josefs-Kirche von 1892 („Kleine Kirche“) löste eine mittelalterliche Kapelle ab und erlangte 1957 den Status einer Pfarrkirche. In unmittelbarer Nähe zu ihr entstand 1966/68 die heutige St.-Josefs-Kirche nach Plänen des Bad Iburger Architekten Martin Klemann (die alte Kirche wurde 1973 abgerissen). Sie steht mit dem Altar im Mittelpunkt ganz im Zeichen der Erneuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Der Innenraum wird optisch von den rundum gehenden Glasfenster-Wabengittern beherrscht. 2008 kam der freistehende Turm hinzu, seit 2010 gehört St. Josef zur fusionierten Pfarrei St. Andreas Cloppenburg. 2018 wurde St. Josef zur ersten Jugendkirche im Oldenburger Land umgestaltet.

Die alte neugotische St.-Josefs-Kapelle (1892) in Cloppenburg | Postkarte aus dem Bestand von Thomas Lipski
Die alte neugotische St.-Josefs-Kapelle (1892) in Cloppenburg | Postkarte aus dem Bestand von Thomas Lipski

Die Orgeln in der alten neugotischen Kirche
Die 1892 erbaute, neugotische Kirche musste zunächst über zehn Jahre lang ohne Orgel auskommen und erhielt erste Ende 1904 eine neue Orgel, die von der Münsteraner Orgelbauwerkstatt Friedrich Fleiter geliefert wurde. Genauere Angaben über dieses Instrument sind uns nicht bekannt, doch wissen wir, dass die Orgel zehn Register hatte und über pneumatische Trakturen verfügte.
1936 erfolgte ein Umbau durch die Erbauerwerkstatt, wobei die Orgel auch ein elektrisches Gebläse erhielt. Später nahm Otto Ritter aus Goldenstedt weitere kleine Veränderungen vor.
Schließlich lieferte die Fa. Franz Breil (Dorsten) 1953 eine neue Orgel unter Wiederverwendung eines großen Bestands aus der Vorgängerorgel von Fleiter. Die Breil-Orgel hatte nun 15 Register auf zwei Manualen und Pedal; der Einbau fünf weiterer Register war vorgesehen. Später wurde dieses Instrument jedoch nicht in die neue St.-Josefs-Kirche übertragen, sondern kam 1973 nach St. Willehad in Wilhelmshaven, wo es bis heute (ergänzt um die fünf vorgesehenen Register) besteht, aber auf kurz oder lang durch eine neue Orgel abgelöst werden soll.

 

Die Alfred-Führer-Orgel (1970) in St. Josef Cloppenburg | Foto: Gabriel Isenberg, 2021
Die Alfred-Führer-Orgel (1970) in St. Josef Cloppenburg | Foto: Gabriel Isenberg, 2021

Kirchenraum und Orgel wie aus einem Guss
Die neue St.-Josefs-Kirche in Cloppenburg erhielt 1970 eine neue Orgel: ein mit 46 Registern auf drei Manualen und Pedal ausgesprochen großes Werk aus der Orgelbauwerkstatt Alfred Führer (Wilhelmshaven). In dem modernen Kirchengebäude setzt die von dem Delmenhorster Orgelprofessor Günter Berger konzipierte Führer-Orgel einen markanten Akzent. Das an der rechten Seite des Kirchenraums, nur zwei Stufen erhöht stehende, asymmetrisch-kantige Gehäuse gibt den inneren Werkaufbau klar wieder: links Pedal, rechts von unten nach oben Brustwerk, Hauptwerk und Schwellwerk.
In ihrer klanglichen Disposition ist die Orgel ein Musterbeispiel für die orgelbewegten Instrumente im Geiste des für die Orgelentwicklung in der deutschen Nachkriegszeit bedeutenden Orgelbautheoretikers Walter Supper. Neben der angestrebten Eigenständigkeit der Werke und einer ausgeprägten Palette von Cantus-firmus-Möglichkeiten bei einer Vielzahl färbender Aliquotregister fällt dennoch die Vermeidung neobarocker Extreme und eine beeindruckende symphonische Mischfähigkeit der Stimmen auf. Ihr Bau ist auch im Kontext der „Cloppenburger Orgelschule“ zu sehen, die als kirchenmusikalische Ausbildungsstätte nachhaltigen Einfluss auf die Organistenausbildung im Oldenburger Land hatte. Insofern ist der Orgel auch im geschichtlichen Kontext durchaus überregional Bedeutung beizumessen.

 

Das „Cockpit“ des Organisten: Die Spielanlage mit den Klaviaturen und der Registersteuerung | Foto: Gabriel Isenberg, 2021
Das „Cockpit“ des Organisten: Die Spielanlage mit den Klaviaturen und der Registersteuerung | Foto: Gabriel Isenberg, 2021

Ein flexibles und zeitloses Klangkonzept
1973 wurde die Orgel auf einer LP in der Reihe „Orgeldokumente“ des Labels Pape mit Werken von Manfred Kluge vorgestellt. Wenngleich diese Musik für ungeübte Ohren teilweise etwas spröde und schroff daherkommt, bringt sie doch die Farbigkeit der Cloppenburger Führer-Orgel besonders gut zur Geltung.
Dass die Orgel aber mehr will, als „nur“ in obertonreichen Klängen zu verharren, wie man es den oft spitz und schrill klingenden Neobarock-Instrumenten der 1960er und 70er Jahre vorhält, drückt sich auch in Günter Bergers Worten aus, die er im Beiheft der LP formuliert. Da heißt es zum Beispiel in Bezug auf die Aufgabe der Orgel zur Gesangsbegleitung: „Chorgesang darf sie nicht übertönen, da das Wort verständlich bleiben muß. Das bedeutet, daß dem Organisten die Möglichkeit gegeben sein muß, in zahlreichen Nuancen zu variieren. Kantor, Männerschola, gemischter Chor, Kinderchor und Singschar brauchen eine ihrer jeweiligen Besetzung entsprechende adäquate Begleitung, die nicht nur durch gut disponierte und mensurierte 8'- und 4'-Lage erreicht wird, sondern auch durch Einsatz eines Schwellers (nicht Rollschweller der alten Orgel!). Seit Jahrhunderten praktizieren und kultivieren die Franzosen erfolgreich in ausgeweitetem Maße eine solche Bauweise. Es ist darum bei den in St. Joseph, Cloppenburg, herrschenden guten chorischen Voraussetzungen unerläßlich, beim Bau der Orgel deren Begleitfunktion in besonderem Maße zu berücksichtigen, mehr als üblich: darum der Einsatz von zwei Schwellwerken mit sehr unterschiedlichen labialen und lingualen Klangkörpern.“ Und in der Tat verleiht die besonders für die Bauzeit der Orgel äußerst bemerkenswerte Einrichtung von gleich zwei Schwellwerken der Orgel ein besonderes Maß an dynamischer Flexibilität.
Im weiteren Text greift Berger die bereits von Supper geprägten und noch frühere Bestrebungen im Orgelbau aufgreifenden Bezeichnungen der „Warmklinger“ und „Kaltklinger“ unter den Aliquotregistern auf, die in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen sollen. Bis heute überzeugt der zwar durch eine gewisse zeitbedingte Ideologie im Orgelbau geprägte, aber doch äußerst vielseitige Klang der Cloppenburger St.-Josefs-Orgel durch seine „Zeitlosigkeit“, so dass das Instrument (1991, 2004 und 2010 überholt und nur geringfügig verändert) bis heute seine klangliche Gültigkeit behält. Selbst im symphonischen Bereich zeigt die Orgel trotz der stumpfen Akustik der Kirche erstaunliche Qualitäten, bleibt aber dennoch stets plastisch-klar und farbenprächtig.
Mit Blick auf die pädagogischen Aufgaben, die Günter Berger mit seiner „Cloppenburger Orgelschule“ mit dem Instrument verknüpfte, forderte er: „Von der zeitnahen Orgel sollen neue Impulse und Anregungen auf das Musikschaffen ausstrahlen.“ Und weiter: „Da viele nebenberufliche angehende Organisten an der Orgel in St. Joseph in […] der sogenannten Cloppenburger Orgelschule ihre Ausbildung erfahren und erfahren haben, war es wichtig, hier ein solch gravierendes Instrument zu erstellen. Ein klanglich so vielseitiges Instrument gibt dem Orgellehrer Möglichkeiten, beim Orgelschüler den Lernprozeß des Registrierens in vielfältiger Weise einzuleiten. So hat die Kirchengemeinde über ihre eigenen Bedürfnisse hinaus den Oldenburger katholischen Gemeinden einen unschätzbaren Dienst erwiesen.“
Ein unschätzbarer Dienst und ein bedeutendes Klangdenkmal für das Oldenburger Münsterland, dem auch heute noch erhöhte Aufmerksamkeit zukommen sollte und das auch weiterhin der Pflege bedarf!

Ein Blick in die Zukunft
Wo geht die Reise hin? Inzwischen scheint diese zentrale Rolle und Vorbildfunktion der St.-Josefs-Orgel fast in Vergessenheit geraten zu sein. In unserer zunehmend säkularen Welt, in dem auch im Oldenburger Münsterland Kirchenschließungen diskutiert werden müssen, ist der Bestand auch eines so bedeutenden Orgeldenkmals nicht ungefährdet. Brauchen wir heute überhaupt noch solche Orgeln? Zumal in einer Kirche, in der zunehmend auch Gottesdienste in anderen, „modernen“ Formaten gefeiert werden? Vielleicht ist es ja gerade hier eine Chance, dass von einem solchen Instrument, das bereits vor über 50 Jahren „Impulse und Anregungen auf das Musikschaffen“ ausstrahlte, neue Impulse ausgehen. Gerade in einem solchen Raum wie der Cloppenburger St.-Josefs-Kirche bieten sich – schon allein der räumlichen Nähe der Agierenden wegen – Synergien zwischen Orgel und anderen Instrumenten und Stimmen an (wie es ja auch schon mit dem Chorgesang in den 1970er Jahren der Fall war). Gefragt sind Ideen und Mut, Neues auszuprobieren – anknüpfend an das, was uns die vorigen Generationen geschenkt haben. Und da kann die Cloppenburger St.-Josefs-Orgel ein Ausgangspunkt sein!

 

Einheit von Raum und Klang: kantig und selbstbewusst, offen und einladend | Foto: Gabriel Isenberg, 2021
Einheit von Raum und Klang: kantig und selbstbewusst, offen und einladend | Foto: Gabriel Isenberg, 2021

Hier finden Sie einen detaillierten geschichtlichen Überblick mit Dispositions- und Quellenangaben:

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