in den »Heimatblättern«, Beilage zur Oldenburgischen Volkszeitung
von Dr. Gabriel Isenberg
Die Kirche St. Gertrud in Lohne kann auf eine über 400-jährige Orgelgeschichte zurückblicken – beginnend kurz nach 1600: Wenige Jahre vor Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs fanden umfangreiche Renovierungs- und Erweiterungsarbeiten an der alten aus dem 11. Jahrhundert stammenden St.-Gertrud-Kirche statt. Im Rahmen dieser Kirchenerneuerung, die vermutlich auf Kosten der adeligen Familie von Dorgeloh auf Gut Brettberg erfolgte, kam auch die erste Orgel nach St. Gertrud.
Eine Orgel aus dem Vechtaer Süsternhaus
Die 1609 hier aufgestellte kleine Orgel war kein Neubau, sondern vermutlich ein gebraucht angeschafftes Instrument, das angeblich aus dem Kloster der Augustinerinnen in Vechta, dem sog.
Süsternhaus, stammte. Nach dem Tod der letzten Ordensschwester 1575 sollten deren Güter laut Testament der Stadt zur Versorgung verarmter Bürgerinnen zugutekommen. Man hatte um 1600 erwirkt, dass
die Güter auch zu Zwecken der Kirchenrestauration Verwendung finden konnten. Auf diesem Wege kam die offenbar bereits aus dem 16. Jahrhundert stammende dann vermutlich von Vechta nach
Lohne.
Dabei wird es sich um ein relativ kleines Instrument gehandelt haben, das offenbar auf einer Orgelbühne aufgestellt war, die neben der Jahreszahl 1609 auch ein Gebet in niederdeutscher Sprache
als Inschrift trug: „O Ewige Almechtige, gnädige Godt / Uns to holden Dein Gebot / Und na dinen Gottliken Sinn / Unseren negsten alletit behülplich sein / Und staen bi dem Apostolischen Grunde /
so geschrewen ut Göttliken Munde / Und endlich salich Sterben / Das Ewige Leben Erben.“
Die Barockorgel von 1687
Im Jahr 1687 erhielt die St.-Gertrud-Kirche eine neue Orgel, die „das Kirspell Lohne zu großer Ehr Gottes in dahsiger Pfarr Kirchen“ hatte anfertigen lassen. Weder über den Erbauer noch über die
genaue Gestalt dieses Instruments haben sich genauere Angaben erhalten. Als Orgelbauer kommen im Wesentlichen zwei Namen infrage: Zum einen die Gebrüder Johann Adam und Henrich Reinking aus
Bielefeld, die in diesem Zeitraum auch neue Orgeln in Damme (1677), Dinklage (1680) und Twistringen (1694) bauten, sowie Mauritz Hermann Böntrup aus Vreden, der zur gleichen Zeit vor allem im
Raum Cloppenburg an zahlreichen Orgeln arbeitete, zu Beginn des 18. Jahrhunderts aber auch nachweislich Reparaturen in Lohne ausführte.
Über die Registerzahl finden sich abweichende Angaben: Die Visitationsberichte von 1716 und 1724 nennen einmal 7 Register, einmal 9. Damals war es durchaus üblich, einige Register geteilt zu
bauen, d. h. dass es für den Bass- und den Diskantbereich einen jeweils eigenen Registerzug gibt – so z. B. an der Dammer Reinking-Orgel für die Register Praestant 8' und Trompete 8' nachweisbar.
Möglicherweise wurden also in dem zweiten Visitationsbericht die geteilten Register doppelt gezählt. Mit Sicherheit können wir jedoch davon ausgehen, dass es sich bei den Registern nur um
Manualregister handelte und die Pedalklaviatur angehängt war, d. h. keine eigenen Register besaß. Der Organist saß, wie man einem Kirchengrundriss von 1815 entnehmen kann, an der Rückseite der
Orgel, die auf einer Empore über dem seitlichen Hauptportal stand.
Als erster Organist an der neuen Orgel wurde am 18. November 1687 Dietrich Adam (von) Litz angestellt – mit einem Jahresgehalt in Höhe von 28 Reichsthalern, das ihm im quartalsweisen Wechsel von
den Bauerschaften Brockdorf, Bokern, Lohne und Südlohne ausbezahlt wurde. Er war nach eigenen Angaben „Organist und Barbier“ und verstarb im Dezember 1724 im Alter von 62 Jahren. Nach seinem Tod
übernahm Hermann Heinrich Schröder im Februar 1725 das Organistenamt.
Neue Kirche – neue Orgel
Schon lange hatte es Klagen darüber gegeben, dass die Lohner Kirche für die wachsende Bevölkerung zu klein sei. Die ersten Planungen zum Bau einer neuen, größeren Kirche gab es bereits 1800, doch
durch die Wirren der napoleonischen Kriege verzögerte sich das Unternehmen um einige Jahre, so dass erst 1815 mit den konkreten Arbeiten begonnen werden konnte. Ende 1818 war schließlich die nach
den Plänen des Hofbaumeisters August Reinking aus Steinfurt als klassizistischer Wandpfeilerbau erbaute Kirche fertiggestellt – zunächst noch mit dem von der Vorgängerkirche übernommenen Turm,
der dann 1835/37 durch einen Neubau ersetzt wurde. Und für diese neue Kirche sollte nun auch eine größere Orgel angeschafft werden.
1812 hatte man sich um Überlassung des Kircheninventars der Klosterkirche Vechta bemüht, darunter auch die Orgel – jedoch vergeblich. Also nahm man einen Orgel-Neubau in Angriff. Verschiedene
Gutachten und Pläne wurden eingeholt; so legte z. B. der Osnabrücker Marienorganist Melchior Bernhard Veltmann einen Entwurf vor, der sich an Abbé Voglers „Simplificationssystem“ orientierte, mit
dem durch eine Mehrfachverwendung der Pfeifen neue Klangmöglichkeiten erreicht werden sollten.
Beauftragt wurde schließlich der in Quakenbrück ansässige Orgelbauer Franz Anton Schmid, mit dem am 20. Mai 1822 der Vertrag geschlossen wurde. Sein Instrument umfasste 24 Register auf zwei
Manualen und Pedal und war im Februar 1824 fertiggestellt. Die alte Orgel hatte Schmid übernommen und verpflichtete sich im Gegenzug dazu, kostenlos eine neue Orgel mit fünf Registern für die
damalige Hauptschule in Lohne zu liefern.
Doch schon bei der Abnahme hatten die Sachverständigen in einigen Punkten deutliche Kritik an der neuen Kirchenorgel geäußert. Und offenbar zeigten sich auch bald massive Mängel, die 1856 zu dem
Entschluss führten, kein Geld mehr in Reparaturen des gerade einmal rund 30 Jahre alten Instruments zu investieren. Stattdessen wurde der Bau einer neuen Orgel ins Auge gefasst, bis zu dessen
Verwirklichung aber noch über 20 Jahre ins Land gehen sollten.
Die Fleiter-Orgel von 1878: Ausgangspunkt des heutigen Gehäuses
Am 30. September 1876 wurde bei einer Sitzung in Zerhusens Wirtshaus der Vertrag zum Bau der Orgel zwischen der Kirchengemeinde St. Gertrud und dem Orgelbauer Friedrich Fleiter geschlossen, der
erst vier Jahre zuvor seine eigene Orgelbauwerkstatt in Münster eröffnet hatte. Das 30 Register umfassende Werk kostete 8757 Mark (zuzüglich 2400 Mark für das Gehäuse) und wurde bei der Abnahme
am 21. August 1878 durch die Orgelsachverständigen Domorganist Bernhard Hüls (Münster), Seminarlehrer Franz Diebels (Vechta) und Fr. Paschalis Gratze OFM geprüft und dabei in seiner „imposanten
Gesamtwirkung“ sehr gelobt. Im Pedal gab es die Möglichkeit, die lauten Register des Pedals mit einem einzigen Zug zu- und abzuschalten, um bei Wechseln zwischen Hauptmanual und Positiv die
entsprechende Registrierung des Pedals als klangliche „Unterlage“ schnell anpassen zu können – eine Einrichtung, die wir bis heute noch in der zehn Jahre jüngeren Fleiter-Orgel in der
St.-Bartholomäus-Kirche in Essen (Oldb.) sehen können.
Das markante neoromanische Gehäuse war von dem Kunsttischlermeister Rincklake in Münster gefertigt worden. Beim Blick auf das hier abgedruckte Foto fallen neben der reichen und vielseitigen
Ornamentik vor allem die beiden doppelstöckigen Harfenfelder zwischen den Außenfeldern und dem dreigliedrigen Mittelturm ins Auge.
Im Rahmen der Erweiterung der Kirche 1891/92 wurde die Orgel vermutlich um einige Meter ins Kircheninnere vorgezogen, um den Kirchenraum klanglich optimal füllen zu können.
Kleinere Veränderungen im frühen 20. Jahrhundert
Die Zeit des späten 19. und 20. Jahrhunderts war in jederlei Hinsicht eine Zeit des großen und schnellen Wandels. Auch im Bereich des Orgelbaus machten sich sowohl der technische Fortschritt wie
auch ein klangästhetischer Wandel bemerkbar. Zunächst waren es nur kleinere Änderungen, die in diesem Sinne an der Lohner Orgel vorgenommen wurden. Nachdem im Ersten Weltkrieg 1917 die
Zinn-Prospektpfeifen für die Rüstungsindustrie abgegeben werden mussten, wurden sie 1919 durch Zinkpfeifen ersetzte. 1926 erhielt die Orgel ein elektrisches Gebläse. Die ersten klanglichen
Änderungen gab es 1933, als der Orgelbauer Otto Ritter, der zuvor bei Fleiter gearbeitet und in jenem Jahr den Orgelbaubetrieb von Hermann Kröger in Goldenstedt übernommen hatte, zwei weitere
Register (Aeoline 8' und Vox coelestis 8') auf einer pneumatischen Zusatzlade einbaute.
Misslungene und entstellende Umbaumaßnahmen
Sehr zu ihrem Nachteil waren die Arbeiten, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg an der Orgel vorgenommen wurden. Schon 1941 hatte es konkrete Umbaupläne seitens der Aachener Orgelbaufirma
Stahlhuth gegeben, die aber wegen des Kriegs nicht verwirklicht werden konnten. 1947 bot sich der Orgelbauer Johann Caspar aus Nordenham an, die Umbau- und Erweiterungsarbeiten durchzuführen. Als
ungelernter Orgelbauer war Caspar jedoch – wie auch an vielen anderen Orten – nicht in der Lage, die Arbeiten vernünftig auszuführen. Schließlich ließ er alles unvollendet stehen und liegen.
(Wenige Jahre später gab er den Orgelbau ganz auf, fand zunächst eine Beschäftigung bei der Norddeutsche Seekabelwerke AG in Nordenham und wanderte 1952 nach Brasilien aus).
So war es Otto Ritter, der die Orgel bereits seit 1933 in Pflege gehabt hatte, der nun 1948 die angefangenen Arbeiten zum Abschluss führen durfte. Dabei wurde ein drittes Manualwerk in einem
neuen, einfach gestalteten Rückpositiv-Gehäuse in die Brüstung der erweiterten Empore integriert. Sämtliche Trakturen, d. h. die Verbindungen zwischen Tasten und Pfeifenventilen, die bislang rein
mechanisch waren, wurde nun mit einer elektropneumatischen Steuerung versehen. Außerdem gab es etliche Änderungen am Pfeifenwerk. Jetzt verfügte das Instrument über insgesamt 41 Register.
Weitere Veränderungen erfolgten in kurzer Folge: 1956 lieferte die Fa. Kemper aus Lübeck, für die Otto Ritter die Werksvertretung im Oldenburger Münsterland übernommen hatte, einen neuen
Spieltisch. 1957 baute Ritter ein neues Trompeten-Register ein. Und 1958 ersetzte Herbert Kruse, der jetzt die Werkstattnachfolge von Otto Ritter angetreten hatte, die erst 1947/48
elektrifizierten Schleifladen durch neue Taschenladen. Dabei wurde auch die Gehäusegestaltung stark verändert: Der gesamte obere Teil des Gehäuses wurde auf Höhe der Prospektpfeifen entfernt, um
mit einem neuen Principal 16' eine neue Freipfeifenfassade zu bilden.
Die Veränderungen waren für das Instrument nicht zum Vorteil. Bald häuften sich die technischen und klanglichen Unzulänglichkeiten. Da konnten auch die kleineren Reparaturen nicht Abhilfe
schaffen, die die Orgelbauwerkstatt Alfred Führer aus Wilhelmshaven in den 1960er und 1970er Jahren vorgenommen hatte (u. a. mit Erneuerung der Pedalzungen 1975).
Die neue Lobback-Orgel
So fiel schließlich der Entschluss zum Bau einer neuen Orgel, für die die Orgelbauwerkstatt von Christian Lobback in Neuendeich bei Hamburg den Auftrag erhielt. Lobback hatte seine erste große
Orgel 1980 in Garrel erbaut, und es sollten in den kommenden Jahre durch seine Werkstatt etliche weitere bedeutende Orgelbauten im Oldenburger Land folgen, unter denen die Lohner Lobback-Orgel
eine herausragende Stellung einnimmt. Am Christkönigssonntag, den 24. November 1985 wurde das Instrument feierlich eingeweiht; an der Orgel saß die Lohner Kantorin Bernadette Bosbach, Weihbischof
und Offizial Dr. Max Georg Freiherr von Twickel führte die Weihe durch.
Die Orgel umfasst 50 Register auf drei Manualen und Pedal. Maßgabe bei der äußeren Gestaltung war es, die erhalten gebliebenen Elemente des Rincklake-Gehäuses von 1878 in das neue Gehäuse zu
integrieren. Aus Gründen des inneren Aufbaus wurden die Proportionen gegenüber 1878 jedoch verändert – aber auf diese Weise wirkt das Instrument nun ausgewogener und nicht mehr so in der Breite
betont wie im 19. Jahrhundert. Das Rückpositivgehäuse wurde jetzt stilistisch zum Hauptgehäuse passend gestaltet.
Mit ihrer Rundbogenarchitektur passt sich die Lobback-Orgel vorzüglich in den Kirchenraum ein. Und auch klanglich bietet die Orgel, die mit ihren 3593 Pfeifen eine der größten im Oldenburger Land
ist, ein ausgesprochen breites Spektrum an musikalischen Möglichkeiten und ist geeignet für die adäquate Darstellung eines breiten Orgelmusik-Repertoires.
Musiker und Musik
Viele Namen sind mit der Orgelgeschichte in St. Gertrud Lohne verbunden, von denen an dieser Stelle nur einige wenige genannt werden können. Dazu zählt Bernhard Riemann, der sich 1975 im Rahmen
einer umfassenden Arbeit an der Staatl. Hochschule für Musik in Hannover mit der Geschichte der Orgeln in St. Gertrud befasst hat (vgl. Heimatstimmen 65. Jg. Nr. 4, 08.11.1986, S. 7) und damit
einen Ausgangspunkt für den Orgelbau 1985 legte.
Von 1980 bis 2021 prägte die aus Marl stammende Kantorin Bernadette Bosbach die Kirchenmusik in St. Gertrud. Sie war zusammen mit dem Orgelbauer Christian Lobback und dem Orgelsachverständigen
Stefan Decker maßgeblich an der Konzeption der Lobback-Orgel beteiligt. Im Rahmen der durch sie ins Leben gerufenen „Geistlichen Abendmusiken“ erklang das Instrument in weit über hundert
Konzerten mit regional und international renommierten Musikern.
1988 nahm der erst kürzlich verstorbene Werner Haselier aus Friesoythe an der Lohner Lobback-Orgel eine CD mit Max Regers Monologen op. 63 bei dem renommierten Label Dabringhaus und Grimm auf –
ein beachtliches Zeugnis der klanglichen Möglichkeiten dieses Instruments.
Und seit 2021 ist Barbara Kienel (geb. Thalhammer) als Kirchenmusikerin und Dekanatskantorin in Lohne tätig, die die Orgel ebenfalls bereits in zahlreichen Gottesdiensten und Konzerten zum
Erklingen gebracht hat. Die jüngste Neuerung ist eine moderne Setzeranlage, die in den kommenden Wochen in die Orgel eingebaut werden soll – das neuartige System erlaubt die unbegrenzte
Speicherung von Registerkombinationen nach Werktiteln (und nicht mehr wie bisher mit Zahlen-Buchstaben-Kombinationen).
Die Lobback-Orgel in St. Gertrud Lohne ist ein herausragendes Instrument in der Orgellandschaft des Oldenburger Münsterlands, das sowohl in seiner optischen wie auch in seiner klanglichen
Gestaltung Geschichte und Gegenwart verbindet. Und auch sicherlich in Zukunft den Kirchenraum noch mit so manch beeindruckenden Klängen erfüllen wird: Ad multos annos!
Hier finden Sie einen detaillierten geschichtlichen Überblick mit Dispositions- und Quellenangaben:
(zum Vergrößern auf das jeweilige Bild klicken)